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Wer hasst den Hipster?

Alleine im März las ich ganze fünf Artikel über ihn in den einschlägigen Onlinemedien, und so langsam frage ich mich: Wer ist eigentlich dieser Herr Hipster, von dem alle reden?

Herr H. scheint ziemlich viele Menschen zu verärgern… erstaunlicherweise meist alleine durch reine Äußerlichkeiten (FAZ.net, 4.3.2013). Komischerweise scheint Herr H. selbst nicht so großes Mitteilungsbedürfnis zu haben. Jedenfalls kenne ich keinen Artikel, in dem er mal seine eigene Sicht der Dinge erläutert. Er wehrt sich nicht mal gegen all die Beschimpfungen, die da über ihn geschrieben werden. Deshalb eignet er sich prima als Sündenbock für alle Probleme, die unsere Gesellschaft so hat. Gentrifizierung zum Beispiel, und… ja was denn eigentlich noch?

Was macht Herr H. bloß falsch? Ihm wird ja wirklich alles, was er macht, übel genommen. Dabei bemüht er sich doch so, ein guter Mensch zu sein: Er kauft gerne im Bio-Laden, trinkt Fairtrade-Kaffee, fährt gerne Fahrrad (gerne auch ohne Gangschaltung), ernährt sich öfters mal vegetarisch, nutzt Car-Sharing, interessiert sich für Kultur, kauft sich eine Analogkamera und hat Spaß daran, damit ein bisschen kreativ zu sein. Natürlich ist er nebenbei ein bisschen selbstverliebt und lässt sich beim Konsum von Gleichgesinnten inspirieren, aber tut das der Rest der Gesellschaft nicht auch? Ich denke da z.B. an meinen Kollegen Herrn Normalski. Wenn ich in obiger Beschreibung einfach ein paar Wörter ersetze, dann hab ich Herrn Normalski ganz gut umrissen: Ich ersetze einfach Bio-Laden durch Discounter, Fairtrade durch Billig, Fahrrad durch Auto, „ohne Gangschaltung“ durch „mit viel PS“, vegetarisch durch … äh … unreflektiert, Car-Sharing durch Doppelgarage, Kultur durch Fernsehprogramm, gebrauchte Analogkamera durch Kaffeevollautomat und „kreativ sein“ durch „auf dicke Hose machen“.

Ehrlich gesagt, ist mir persönlich alles, was ich von Herrn H. so höre, wesentlich sympathischer als das, was ich von Herrn Normalski weiß. Könnte es vielleicht sein, dass Herr H. einfach ein ziemlich moderner Typ ist? Und ich meine modern nicht im Sinne von „Wie der Mensch halt ist“, sondern eher von „Wie der Mensch sein sollte“. Oh, eine ganz wüste Theorie schießt mir durch den Kopf: Ist er vielleicht sogar der Typ Mensch, der am besten an die sich ändernden Anforderungen einer modernen Gesellschaft angepasst ist? Klar wird Herr H. die Welt nicht retten, aber zumindest bemüht er sich in vielen Bereichen, sie nicht kaputter zu machen als es Herr Normalski tut, der sich zum Beispiel ein bisschen schwer tut mit neumodischem Kram wie Gleichstellung Homosexueller, Feminismus oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Natürlich ist Herr H. mit Weltverbesserung nicht ganz so kompromislos beschäftigt wie sein Nachbar, der etwas schrullige Herr Öko, aber dafür hat Herr H. auch etwas, worauf Herr Normalski und Herr Öko ganz schön neidisch sind: Ziemlich viel Spaß am Leben.
Und vielleicht kommt ja daher der Hass gegen Herrn H. Vielleicht führt er einfach Menschen wie Herrn Normalski ihr eigenes gesellschaftliches Überholtsein vor Augen. Vielleicht ärgert sich dieser deshalb so sehr, weil Herr H. einfach gänzlich unbeeindruckt ist von Vorort-Häuschen, Doppelgarage und dicker Hose. Oder weil er sich für schöne Dinge wie Kunst und Mode interessieren darf, ohne dass seine Freunde seine Männlichkeit in Frage stellen. Vielleicht ärgert sich Herr Normalski auch einfach nur, dass sein Aldi-Kaffee trotz sündhaft teurem Vollautomaten nicht mit dem Bio-Kaffee aus dem 10 Euro Espressokocher mithalten kann.

Natürlich ist Herr H. nicht der einzige moderne Mensch, aber er ist halt der einzige, den Herr Normalski auf den ersten Blick erkennen kann. Zum Beispiel an seiner Retro-Kamera, die er immer (!) bei sich trägt, aber nie benutzt… Sueddeutsche.de, 26.3.2013. Ähm ja. Genau.

Neben Herrn Normalski gibt’s aber tatsächlich noch jemanden, der ein Riesenproblem mit Herrn H. hat, nämlich Herr Tellerrand. Der ist zwar nicht modern, geschweige denn cool, gefällt sich aber bislang ganz prima in seinem Szene-Mikrokosmos (Was war es noch gleich? Indie? Darkwave? Fußball??), und versucht mit Händen und Füßen ihn vor Herrn H. zu verteidigen. Erstaunlicherweise scheint dieser nämlich die Kraft zu besitzen eine Szene nur durch seine bloße Anwesenheit kaputtmachen zu können… Beeindruckend! Vielleicht sollte man ihn mal bei irgendwelchen Nazis vorbeischicken. Ach Moment mal, da war er ja sogar schon: Neulich hat er sich z.B. in der Ultra-Szene von Alemannia Aachen herumgetrieben. Aber anstatt dass sich die Leute freuen, dass sich ein smarter Herr H. unter die dümmliche alteingesessene Fangemeinschaft mischt und sich traut Dinge zu sagen wie „Nazis im Stadion sind doof“, zucken alle nur mit den Schultern oder hauen Herrn H. auf die Nase, und Herr Tellerrand schreibt sogar dass wir den Fußball retten müssen vor Herrn H. (Zeit.de, 20.03.2013). Irgendwie traurig.

Erfreulicherweise gab’s diesen Monat in den Onlinemedien auch ein paar nette Worte über Herrn H. Leider sind diese in Artikeln wie Ironiker, der Lenz ist da (Zeit.de, 27.3.2013) oder Der Hipster ist tot … (Sueddeutsche.de, 26.3.2013) aber so unheimlich gut recherchiert, analysiert und intellektuell aufbereitet, dass sie niemand lesen oder verstehen wird.

Deshalb nochmal ganz deutlich: Ich mag diesen Herrn Hipster.

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